12. November 2008

Ankerhaken als Glücksbringer?

Warnung an zart Besaitete:
dieser Bericht ist makaber.



Ich bin häufig in der Gegend des Campo Santa Maria Nova, Campo San Canciano bis zur Kirche Santi Apostoli in Cannaregio. Dabei fällt mir immer wieder auf, dass VenezianerIn-
nen, die die Brücke über den Rio dei Santi Apostoli von San Canciano in Richtung Santi Apostoli überqueren, kurz anhalten und einen Haken berühren. Der Haken, bzw. zw
ei Haken, sind über Kopfhöhe in die Hausecken eingemauert, viel zu hoch, um jemals ein Boot daran festzumachen. Die Berührung ist kein Vorbeistreifen, sondern hat etwas Rituelles.

Ich habe mich häufig neugierig gefragt, was es damit auf sich haben könnte. Bekannte wussten nichts darüber, einfach jemanden auf der Straße zu fragen kam nicht in Frage. ("Entschuldigen Sie, was machen Sie da und warum?" wäre der Gipfel der touristischen Distanzlosigkeit.) Und ausserdem die Peinlichkeit, freundliche ältere Damen wegen nicht ausreichender Sprachkenntnisse nicht angemessen verstehen und antworten zu können!

Die Antwort fand ich auf der Website www.venessia.com in einem kleinen Beitrag Ancorette portafortuna sempra nei pressi di S. Canciano a Cannaregio.(Bis zum Titel nach unten scrollen)

Die immer Glück bringen
den Ankerhaken in der Nähe von San Canciano seien wohl keine Glücksbringer gewesen für diejenigen, die man früher daran aufgehängt habe, zur Mahnung an die vorüber Gehenden. Von hingerichteten gevierteilten Menschen seien je zwei Viertel an den beiden Haken bei San Canicano, zwei Viertel an einem weiteren Ankerhakenpaar bei den Tolentini (in Sestiere Santa Croce) aufgehängt worden. Das zweite Ankerpaar existiere aber heute nicht mehr.


Eine derart eindeutige Verlautbarung ungewohnt, habe ich zunächst mein Wörterbuch gezückt und festgestellt, dass ich sehr wohl richtig verstanden hatte.
Die Nachfrage bei Vene
dig-Insidern ergab, dass niemand etwas davon gehört hatte, dass in Venedig einst gevierteilt wurde, aber tatsächlich hatte bisher niemand Anlass, sich mit dem Thema zu beschäftigen.

Meine Internetrecherche ergab eine Menge merkwürdiger (und wohl z. T. auch merkwürdig motivierter) Seiten, diverses Lehrreiches über die venezianische Justiz und deren Vollzug, und auch Einiges über venezianisches Vierteilen, in der Tat.


Als Beleg verlinke ich eine Seite, die eigentlich Carnevalsritualen in den venezianischen Sestieri gewidmet ist, und deshalb einen akzeptableren Inhaltsschwerpunkt hat.
Zu beachten ist der erste Satz:
La
ut den Justizregistern wurde 1721 ein Angestellter der alten Apotheke am Campo S. Luca enthauptet und gevierteilt...


Ob das Berühren wirklich Glück bringt, ob an dieser Stelle tatsächlich so grausiger Vollzug stattfand, oder ob es sich um eine Legende handelt - wieder Fragen, die man nicht stellen kann...

(Die Ortsbezeichnung Sottoportego del Traghetto bezieht sich auf die alte Ruderfähre von Cannaregio nach Murano, die vor dem Bau der Fondamente Nove hier ihre Anlege hatte.)


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