14. Oktober 2012

La testa di Carmagnola - Carmagnolas Kopf

So nennt ihn der Volksmund seit dem 15. Jahrhundert. Wieder eine dieser venezianischen Mischungen von Geschichte und Geschichten. Wunderbar.

Ein kleiner dunkler Fleck unterhalb der Fahnenstange auf der Balustrade: Carmagnolas Kopf

1. Der Kopf:
Sitzt oben auf der Südwest-
ecke der Balustrade von San Marco, gegenüber dem Campa-
nile. So hoch, dass man ihn von unten nicht wahrnimmt, es sei denn, man weiß, er ist da. Ob man ihn von oben wahrnimmt, weiß ich nicht, ich war nur einmal vor Jahren auf dieser Terasse und so hin und weg von der Aussicht und der wunderbaren Quadriga (ihrer Nachbildung, aber eben ganz nah!), dass ich diesen roten Hinterkopf links auf der Ecke ganz sicher nicht mitbekommen habe. Und selbst wenn man ihn tätscheln würde: ein Kopf halt, lebensgroß, Porphyr. Stichwort Porphyr: führt zu 3., aber erst mal folgt



2. Carmagnola
eigentlich Franceso Bussone, genannt Carmagnola, war einer der Söldnerführer des 15. Jahrhunderts, die für Venedig die Landkriege erledigten, denn die Serenissima Repubblica besass kein stehendes Heer. Historische Details stehen im Wikipediaeintrag.

Gentile Bellini: Die Prozession auf dem Markusplatz, 1496, Detail. Pfeile: Oben rechts von der roten Figur, unterhalb der orangefarbenen Dekoration der Porta della carta, ein kleiner rotbrauner Kopf: der Porphyrkopf. (Notfalls Lupe nehmen, dann ist er eindeutig zu erkennen. Unten die pietra del bando.

Erfolgreich genug als Mann des Krieges leistete er sich anscheindend den Luxus oder die Dummheit, Loyalitäten nicht klar zu setzen und damit Vertrauen zu verspielen. Da niemand seine Fähigkeiten unterschätzte, lud man ihn zu einem vorgeblichen Palaver nach Venedig ein und, wie ich irgendwo las, führte man ihn im Dogenpalast mittels Schließen von Türen und Postieren von Wachen immer weiter bis in einen Raum aus dem es kein Entkommen mehr gab. Verhör, Geständnis, Gerichtsverhandlung, Urteil und Vollstreckung erfolgten blitzschnell. 
Ehe die VenezianerInnen noch recht wussten was warum passierte, lag sein Kopf schon ausgestellt auf der "pietra del bando", dem Stein (aus ebenfalls Porphyr) an der Südwestecke von San Marco, der eigentlich der Verkündung von Regierungsnachrichten diente (immer noch da, hinter der Absperrung die die Basilika umgibt). Alle abgeschlagenen Köpfe wurden dort drei Tage und drei Nächte zur Abschreckung ausgestellt (wie die Viergeteilten an den Haken an der Fährstation bei S. Canciano und bei den Tolentini). 
Carmagnolas Kopf wurde wieder abgeräumt, aber seine Schuld blieb in der Diskussion, wurde nie bewiesen, die Anklage war falsch, die Strafe unverdient. Eines der nie eingeräumten Fehlurteile der venezianischen Justiz, gegenüber sehr wenigen öffentlich bekannten.
Und die Projektion des justizirrtümlich hingerichteten Carmagnola wanderte von der pietra del bando geraus nach oben auf die darüber liegende Brüstung zum Porphyrkopf, der dort schon seit längerer Zeit angebracht und passend rot war, die Legende von Carmagnolas Kopf entstand.

3. Porphyr - der Stein der Kaiser
Der Kopf stammt, genau wie die Porphyr-Skulptur der Tetrarchen und viele weitere Schätze in und um San Marco, von der Plünderung Konstantino-pels 1204. Porphyr wurde im byzantini-
schen Kaiserreich, also Ostrom, fast ausschließlich für die Darstellung von KaiserInnen verwendet (Kinder byzantinischer Herrscher wurden als porphyrgeboren bezeichnet). Bei der Identifizierung des Kopfes war die Steinart der wichtigste Hinweis, nach einigem wissenschaftli-
chen Hin und Her im 20. Jahrhundert hat man sich darauf geeinigt, dass er Kaiser Justinian I darstellt. Vor allem Vergleiche mit Münzen und Mosaiken in Ravenna, die Justinian I zeigen, führten zu dieser Auffasung. Ausserdem glaubt man, dass er aus dem Philadelphion in Konstantinopel stammt, wie die Tetrachen eine Etage tiefer.



Wenn sich jetzt jemand, wie ich, fragt, ob das französische Revolutionslied 'La Carmagnole' ("...es lebe der Ton der Kanon...") etwas mit Carmagnola zu tun hat: Nein. 
Nicht alles ist mit allem verbunden.


Museum San Marco
Alessandro Manzoni: Il conte di Carmagnola; Trauerspiel 




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