24. November 2012

Kindergruppen und Barcodes


Nach endlosen Linklisten zur Architekturbiennale nehme ich mir das letzte Wort, denn ich war eben kurz vor Tores- und Jahresschluss ein paar Tage in Venedig. Aber eigentlich ist dem kaum etwas hinzuzufügen. 


Denn genau genommen ist das ja eine Fachveranstaltung, ich jedenfalls kann viele der Codes nicht entziffern, weder bildliche noch sprachliche, dazu fehlen mir einfach Kenntnisse, genauer, die Ausbildung. Eine Menge dessen, was geboten wird, ist an mich verschwendet. Andererseits: wie wollen wir dazu lernen, wenn wir uns nicht Überforderungen aussetzen die uns frustrieren und gleichzeitig staunen, grübeln, bewundern lassen? Und die Aktiven müssen damit leben, dass die KonsumentInnen nicht alle ihrer Bemühungen angemessen schätzen, sondern sich das pflücken, was ihren jeweiligen Bedürfnissen und Verwendungsmöglichkeiten entspricht.

Ich staunte: über die vielen Kinder- und SchülerInnengruppen (ich rede nicht von StudentInnen, die kann man wohl erwarten) im  Grundschul- und sogar Vorschulalter. Begleitet von offenbar gut vorbereiteten Pädagoginnen (kein großes I, es waren alle Frauen), die die Kinder zu ausgewählten Aus-
stellungen führten, zeigten, referierten, Fragen beantworte-
ten, während die Kinder NICHT herumflippten, sondern ebenfalls auf die Erfahrung vorbereitet schienen und interessiert und fokussiert waren. 




Nicht nur z. B. beim Wallhouse von Anupama Kundoo, einem 1:1 Gebäude, dessen Funktionalität und gleichzeitige Exotik junge Kinder leicht verstehen können, sondern auch z. B. bei der akkustischen Installation "Making the walls quake..." von Katarzyna Krakowiak mit komplizierter theoretischer Basis, bei der man wissen muss, welche Erklärungen vermitteln und welche das Interesse abwürgen können.  

Zum ersten Mal bei einer Biennale fiel mir ein Vaporetto "Biennale-VAP per scuole" auf, so ausgewiesen durch riesige aufgepappte blaue Folien, mit dem die Kindergruppen aus dem allgemeinen ÖPNV herausgehalten werden. Streßarmer Transport unterstützt einen Klassenausflug enorm und hält die Nerven der Kinderchen für anspruchsvolle Inhalte frisch. 

Exponat mir Barcode, nordischer Pavillon

Ich lernte: Kunst kann man heutzutage noch ohne Computerhilfe konsumieren, aber nicht Fachausstellungen. Noch gibt es an Wänden und Stellwänden klebende und von Decken hängende Erläuterungstexte. Der Trend aber sind Barcodes, befestigt an Exponaten, die sozusagen nur noch exemplarische, wenn nicht sogar symbolische, Funktion haben. Die eigentliche Information empfängt man per Smartphone über den Barcode, der direkt auf die dazugehörige Website führt, die man abspeichern und jederzeit an anderem Ort wieder abrufen kann. Das System ist praktisch, für viele mittlerweile im Alltag selbstverständlich, zwingt aber zum Erwerb und Einsatz eines Smartphones, was ich bisher überflüssig fand, da ich 24 Stunden täglich von Festnetztelefonen und Computern umgeben bin und zumindest auf dem Weg von einem zum anderen meine Ruhe will.

Russischer Pavillon, Barcodes

Die beiden oberen Räume des russischen Pavillons bestanden überhaupt nur aus Barcodes, Wände, Böden und Decken nur Barcodes, wer kein Smartphone besitzt, schnappt sich ein Tablet (Dutzende davon in einem Regal im Eingangsbereich, wo sie mit Energie betankt werden). Die Räume waren vollge-
stopft mit Jugendlichen wie eine Disco, die mit ihren Smart-
phones die Barcodes scannten und sich auf den winzigen Displays (oder den Tablets) die Hintergrundinformationen ansahen. Also bitte - ich finde das spannend und irritierend gleichzeitig. Spannend, immer neue Technologien zu nutzen im Lauf der letzten 20 Jahre, irritierend die vorbeirauschenden technologiegestützen Informationsmassen, bei gleichzeitiger Behauptung, ohne Technologie gäbe es keine Kommunkation mehr. 


Griechischer Pavillon

Bei den nationalen Ausstel-
lungen gab es Fröhli-
ches (Hänge-
matten und Gitar-
ren in Brasilien); Duftendes (Beispiele für Holzbau in Finnland); Ödes (Italiens riesige Halle voller Baumarkt-Farne, denen es nicht gut ging); Rätselhaftes (Kuwaits leere Halle mit fast unleserlichen Projektionen von Stadtplänen auf dem Boden, bis oben akustisch aufgefüllt mit dem männlichen Stimmengewirr eines vollen Souks)
; Spannendes (albanische Denkmalschutzarbeit im Palazzo Zorzi in Castello); Ärgerliches (die Ausstellung Luxemburgs in der Ca' del Duca 2 x aufgesucht und geschlossen gefunden); Zauberhaftes (Taiwan und seine "Geographie der Aufklärung" im Gefängnispalast neben der Seufzerbrücke); Respekt (die Restaurierung der Kirche S. Lorenzo durch den Staat Mexico). Mehr zu diesem Projekt im nächsten Eintrag.

Foyer de Taiwan im Palazzo delle Prigioni


Sehr interessant: Abschlussinterview mit David Chipperfield am 23.11.2012


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