9. November 2013

Venezianische Inselperspektiven (keine Werbung)

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Themenpark Venedig (Zamperla/Università Ca' Foscari)


Den Campanile von S. Giorgio Maggiore besuchte ich im Okto-
ber mehrfach. Er stand in der Blickschneise meines Zimmers und ich war neugierig auf den Ausblick bei unterschiedlichen Wetterbedingungen. Wenn auch der Oktober weitgehend regnerisch und neblig war, abgesehen von zwei brillianten letzten Tagen vor meiner Abreise.


Die Inseln östlich-südöstlich der Giudecca fallen von dort oben ins Auge, und ich habe ihnen (neben den bekannten und viel besuchten Inseln S. Servolo und S. Lazzaro) ein bisschen Interesse gewidmet, mit überraschenden Ergebnissen. 

Die Insel San Clemente, aus der Sicht von Westen am dichte-
sten bebaut, wurde wie die meisten Laguneninseln von Orden besiedelt, und diente ca. 150 Jahre, bis in die 70er des letzten Jahrhunderts, der Verwahrung weiblicher psychisch Kranker, analog zu S. Servolo, wo Männer untergebracht waren. Das Luxushotel auf der Insel, das 2012 immerhin eine Pleite inkl. monatelanger Schließung geschafft hatte, wurde in diesem Jahr (laut Presse zum Preis von 78-Millionen) vom türkischen Unternehmen Permak gekauft und damit ist die Insel auch künftig off limits für Nicht-Hotelgäste.


Auf der kleinen Insel Santo Spirito gibt es nur noch wenige Ruinenreste. Die Insel war (nach früheren Klosternutzungen) den Franziskanern von der Insel Kreta zugeteilt worden. Nach dem kompletten Verlust Kretas an die Osmanen 1669 wurden sie aus der Kolonie evakuiert und hier konzentriert, ähnlich wie die kretischen Nonnen auf San Servolo. Nachdem die Insel lange ungenutzt lag, gab es vor gut 10 Jahren ein ambitio-
niertes Konzept für eine künftige Nutzung als Umweltbildungs-
stätte mit Veranstaltungs- und Ausstellungsräumen, Labors, Wohntrakt und sogar einem kleinen archäologischen Park um die Reste aus dem 17. Jahrhundert. Ich habe es in der Bibliothek der Fondazione Cini gefunden, wurde aber nichts daraus.
Statt dessen verkaufte die Stadt die Insel an die Società Poveglia (wie auch andere Inseln), die sie 2011 zum Verkauf bot, laut Presseberichten mit der Aussicht auf ein weiteres Luxushotel.


Weiter im Süden und aus Campanilesicht stark bebaut ist die Insel Sacca Sessola. Eine neue Insel, Ende des 19. Jahr-
hunderts aufgeschüttet aus den Ausbaggerungen der Fahr-
rinnen für den Industriehafen Marghera, genutzt durch Errich-
tung verschiedener Heilanstalten (Cholera, Tuberkulose...), die sich als echte Überraschung erwies. Dort existiert in aller Stille neben den vielen Luxusangeboten Venedigs ein neues Luxusding, Eröffnung 2014, mit klar definierter Zielgruppe, die auch diese Insel von wie auch immer gearteter öffentlicher Nutzung ausschließt.


Die wirkliche Überraschung einer Inselperspektive wurde be-
kannt am 30. Oktober, und ich erfuhr sie erst im www nach meiner Rückkehr: die Sacca San Biagio als künftiges "Kultur- und Unterhaltungszentrum", ein  "Veniceland", durch das Unternehmen Zamperla SA und die Universität Ca' Foscari.

Damit man das auch glauben kann, verlinke ich Veröffent-
lichungen:


Pressekonferenz Zamperla Spa und Universität Ca' Foscari
The Local
DEZEEN
24 Ore (nicht übersehen: Video Arsenale Zamperla)
Blog "geograficamente"
Blog "tuttacronaca
La Nuova
La Stampa

Das Inselchen, aufgeschüttet aus Müll, soll, wird der Plan genehmigt, mit Zamperla-Technik und -Know how und akade-
mischer Unterfütterung ein Themenpark Venedig & Lagune werden, mit Nachbauten (z. B. von Casone, Lagunenfischer-
hütten), Erlebnispfaden und -technik (z. B. dem Arsenale, einem Riesenrad), Shows (z. B. Carnevale).
In Sicht- und Reichweite des Originals, zwei Riesenkreuz-
fahrtschiffslängen entfernt vom Riesenkreuzfahrtschiffshafen. Für "das große Publikum".
Das ist wohl als großer Wurf gedacht, der schlecht bezahlte Arbeitsplätze schafft, weiteres Geld in welche Kassen auch immer schiebt, bestimmte Zielgruppen mit Bespassungsbedarf erreicht (denen die Latscherei in Venedig selbst zu anstreng-
end, Museen zu langweilig, die Zeit bei ein paar Stunden Aufenthalt zu kurz, das Interesse an der Stadt überhaupt zu klein geraten ist?), die Stadt, ihre BewohnerInnen, den ÖPNV etc. ein bisschen entlastet ohne die Besucherzahlen zu reduzieren.
Ob sich regender Protest wirksam ist wage ich zu bezweifeln, die Entscheidungswege zu Genehmigungen in Venedig sind eines der großen Rätsel der Welt... 



Blick vom Campanile S. Giorgio nach Südosten
Linke Seite: Vordergrund S. Giorgio, La Grazia (unbewohnt), dahinter San Clemente, links dahinter Santo Spirito.
Rechte Seite: Vordergrund Giudecca (Hotel Cipriani), Hintergrund Sacca Sessola

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3 Kommentare:

Andreas Götz hat gesagt…

Hallo Brigitte,

ein paar ganz kleine Ergänzungen, vor allem zur Sacca Sessola. Diese künstliche Insel hat diesen Namen, da ihr Grundriß in etwa die Form einer sessola, also der Schöpfkelle, hat, die in jedem Boot liegen sollte. Auf der Sacca Sessola wurde schon einmal ein großes Hotel errichtet, daß kurz vor seiner Einweihung pleite gegangen ist (ca 2005). Deshalb gab es dort jahrelang einen Wachdienst, der das unbenutzte Mobiliar bewachte, Tag und Nacht. Auf der website wird angedroht: 10 Minuten mit dem speedboot von Venedig (da sei Gott vor!). Es dauert etwas, und das heißt, man kann nicht mal eben zu Fuß durch die Stadt spazieren. Über kurz oder lang werden die Inseln dort alle zum Hotel und dann wird es sicher auch so etwas wie ein vaporetto geben, das regelmäßig fährt (inklusive der Benetton -Insel Grazia). Womit sich dann die südliche Lagune gründlich verändern wird. Im übrigen sind die Hotelinseln nicht grundsätzlich verschlossen. Die Stadt Venedig legt da auch Wert drauf. Ich habe immer mal gesehen, daß Boote an San Clemente festgemacht haben, um dort einen cafe zu trinken. Auch auf der Certosa gibt es Liegeplätze für Gäste.

Das Infohaus auf Santo Spirito ist nicht realisiert worden (ist auch eher klein), vielleicht auch, weil sich die meisten Beteiligten auf die Entwicklung eines "parco della laguna nord" verständigt haben, mit der Certosa als Zentrum. Da gibt es ein (einfaches) Gebäude, in dem es unregelmäßig Schulungen, Vorträge und Ausstellungen gibt. Genaues weiß ich aber wieder nicht.
cordiali saluti, Andreas

Ulrike hat gesagt…

Schön geschrieben Brigitte! Sehr interessant und informativ. Man merkt, du hast dir richtig Mühe gegeben. Freu mich schon auf den nächsten Post!

Andreas Götz hat gesagt…

Eine Korrektur zu meiner Klammer "(inklusive der Benetton -Insel Grazia)":
Ich hatte im Kopf, daß die Insel mittlerweile Benetton gehört. Habe jetzt aber noch mal nachgesehen und finde im www nur Stefanel als Besitzerin.

Andreas