8. Dezember 2013

Venezianische Freundschaft

Foto: Rendezwous Filmverleih
Der Filmtitel ist eigentlich "Io sono Li", Ich bin Li, aber irgend wie muss das Marketing ja die Zielgruppe der Venedig-Appas-
sionati treffen. Denn beim Normalpublikum ginge dieser schöne, zurückhaltende Film unter, nachdem es auch schon 2 Jahre dauerte, bis er es in deutsche Kinos schaffte. Mal wieder das Problem, vermute ich, einen Verleih zu finden, der ausbleibenden Gewinn riskiert oder kompensiert.


Also wurde auch sparsam auf die Synchronisation verzichtet, das Plakat sagt OmU - italienisch mit deutschen Untertiteln. Kann man so nicht sagen. Was gesprochen wird ist 1. chine-
sisch, 2. italienisch mit chinesischem Akzent (ein Grund, beim nächstens Venedig-Besuch die DVD zu kaufen, um das in Ruhe anzuhören. Klingt wunderbar. Man hört die Kompliziertheit des Sprachorgans Zunge. Man fühlt Balanceakte im Mund mit.), 3. italienisch im Dialekt von Chioggia, 4. italienisch (2 Personen, wenn ich das richtig sehe). 

Der Dialekt ist weich wie der venezianische (ein Beispiel, das so häufig vorkommt, dass man darauf achten kann: 'mi piace' ("gefällt mir, freut mich") kommt nicht mit einem laut schmatz-
enden italienischen TSCH sondern zartcremig venezianisch als PIA:SE
) mit stimmhaftem s; und auch die deutsche Unter-
titelung ist (leider) weichgespült und befreit von den wenigen 'Ausdrücken', abwertenden sexuellen, unnötig angepasst an die Freigabe ab 6.


Den Inhalt des Films erklärt der Verleih ausführlich.
Zu sehen ist: das proletarische,  winterliche Chioggia und, in einer sehr kurzen Sequenz, Venedig, so touristenfrei wie wir es gerne hätten (also konsequenterweise auch ohne uns). Das schneebedeckte Alpenmassiv, scheinbar zum Greifen nah. Die von der Fischereiindustrie geprägte südliche Lagune, aber auch deren peocere und Fischerhütten auf Stelzen bei Pellestrina.
Zu erleben sind: alte Männer, die nehmen, was ihnen vom Leben bleibt, EinwanderInnen, die nehmen, was sie kriegen zu einem hohen Preis, und das schwer zu durchschauende Aus-
beutersystem, das die Menschen gegeneinander ausspielt. 


Die 'venezianische Freundschaft' ist ein Beispiel des Themas  "Migropolis" Venedig. Die Stadt, in der die beiden globalen Be-
wegungen Migration und Tourismusindustrie aufeinander treffen. Gefühlt gibt es in Venedig kaum noch eine Osteria, die nicht von freundlichen jungen ChinesInnen betrieben wird, das ist eines der sichtbaren Signale. Nicht immer sichtbar ist, dass der Tourismus nur durch die AusländerInnen in allen Dienst-
leistungsbereichen funktioniert, deren fragwürdige Lebens-
bedingungen wir hinnehmen.

Wer heute noch unbekümmert nach Venedig reist, verdankt das seiner/ihrer Ahnungslosigkeit. Wer nicht ahnungslos ist, kann keine Freude mehr haben an Venedig oder muss bewußt Inakzeptables akzeptieren oder gezielt ausblenden (wie auch ich). Wie kann das Unerträgliche aufgewogen werden gegen Schönheit, die in über 1000 Jahren gewachsen ist?

Eine sympathische Figur im Film ist die chinesische Zimmer-
genossin. Sie ist in den Händen der 'chinesischen Mafia' wie Li, aber sie fährt neben der Arbeit regelmäßig mit dem Vaporetto die eine Station von Chioggia zum Ca'Roman, und praktiziert
Taijiquan auf dem grauen, nassen Strand vor den Kränen der MOSE - Baustelle im nebligen Hintergrund . Das ist eine schöne Kompensation und nicht der beste Weg, aber ein funktionierender, wie sich zeigen wird.

Der Film ist sensibel und poetisch, aber nicht tröstlich. Trotzdem eine schöne gefühlvolle winterliche 2-Stunden-Reise in die Lagune, auf die man in der harten Vorweihnachtszeit nicht verzichten sollte.

Foto: Rendezvous Filmverleih

Wo und wann

Unterkunft (Ergänzung am 17.12.2013)
Aufgrund dieses Eintrags landete eine Hotelwerbung in meiner Mailbox, die ich weitergeben möchte an die, die nach diesem Film Chioggia näher erleben möchten.
Ich habe noch nicht in diesem Hotel Clodia gewohnt, aber Chioggia ist kleiner, nicht so überlaufen wie Venedig, die Verbindungen sind gut über Pellestrina/ Lido, das Hotel scheint nicht plüschig zu sein (für mich ein KO für venezianische Hotels) und der Preis OK. Ich könnte mir vorstellen, dass man vor allem einen Urlaub mit Kindern mit viel Strand und Radfahren entlang der Lidi auch sehr gut von Chioggia aus genießen kann.
(Berichte werden sehr dankend entgegen genommen und bei Einverständnis veröffentlicht.)

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