9. Juni 2014

Architekturführer Venedig


Haben wir bereits im Regal, von 4-5 qualifizierten Autoren, in 2-3 Sprachen...?

Der Untertitel lautet allerdings "Bauten und Projekte nach 1950" und DAS haben wir noch nicht. Wurde soeben zur Eröffnung der Architekturbiennale in Venedig vorgestellt und erscheint in 4 Sprachen gleichzeitig. Englisch in adriablau, deutsch und italienisch in 2 laguneblauen Tönen (behaupte ich mal), französisch in venezianisch-kanalgrün, eindeutig.



Ich habe mich am Pfingstsonntagnachmittag im Schatten vertieft in das Werk und es bis zum Ende nicht mehr aus der Hand gelegt. 125 Projekte stellen Clemens F. Kusch und Anabel Gelhaar in 9 Kapiteln vor, die sich parallel räumlich und inhaltlich im centro storico, auf den Inseln und auf dem zur Stadt gehörenden Festland orientieren. 

Neue Wohnquartiere wie in Cannaregio, auf der Giudecca oder auf Mazzorbo; alle Umbauten, die Räume für die beiden vene-
zianischen Universitäten in ehemaligen Lager- wie auch Palaz-
zostrukturen entstehen liessen ebenso wie die Museumswelt Venedigs entlang des Canal Grande; die Einzigartigkeit des Verkehrs und seine architektonischen Voraussetzungen; Krankenhaus- und Friedhofsstrukturen und -bauten; Um- und Ausbauten von Kirchen und Klöstern zu Bibliothen und Wohn-
heimen - vieles davon ist mir eigentlich nicht neu und dennoch bin ich sowohl von der Menge als auch den Details der Informationen überrascht. 


Das in S. Marta eingebaute Auditorium habe ich anlässlich einer Biennale-Ausstellung besucht, hier finde ich den Plan und Materialdetails. Das Wohnhaus neben Spirito Santo, über des-
sen venezianische Fassade in widerspenstiger Form ich seit Jahren im Vorbeifahren grübele, findet seine Erklärung. Die Nationenpavillons ab 1950 in den Giardini der Nachkriegszeit werden vorgestellt, das fehlte mir bisher.


Besonders interessant sind die Neubauten,  Umbauten und neuen Gebäudenutzungen im Arsenale, die ich seit gut 10 Jahren miterlebe, Hallen mit Büroraum- und Industriestruk-
turen, Auditorien, Ausstellungsräumen inkl. des wunderbaren Turms der Porta Nuova mit Planungsdetails, Grund- und Auf-
rissen. Alles ist für interessierte Laien wie mich gut verständ-
lich, aber die Autoren verzichten keineswegs auf Ausführlich-
keit für Fachleute, wenn es z. B. um die Kompliziertheiten beim Bau von Calatravas 'Ponte della Costituzione' geht oder Differenziertheiten in den Giudecca-Wohnvierteln, z. B. Junghans. 


Ich vermisse wenig: die Aufnahme der neuen Vaporetto-Terminals (Haltestellen kann man sie kaum noch nennen) bei S. Marco, S. Zaccaria, Lido S. M. E. und Burano, die in ihrer Größe und Gestaltung aus meiner Sicht optisch sehr auf ihre unterschiedlichen Standorte wirken. Vielleicht wäre auch die gerade stattfindende Neugestaltung der Insel La Certosa eine Projektvorstellung wert gewesen. 

Die Übersicht reicht von farblicher Sortierung der Kapitel zu schematischen Stadtplänen über viele hervorragende Luft-
aufnahmen (alle Fotos sind von hoher Qualität), die die beschriebenen Projekte gut in ihrem Umfeld erkennen und zuordnen lassen bis hin zu QR-Codes zu jedem einzelnen Objekt, die die Lage auf Google Maps widergeben sowie die jeweilige Route vom Standort des/der NutzerIn.


Register, Lektorat, Druck, Haptik - für die in solchen Fragen pingelige Leserin ein hoch erfreuliches Produkt. Offensichtlich hatte eine ganze Reihe Menschen Spaß an dieser Arbeit. Das Werk ist ein echter Gewinn für Venedig-LiebhaberInnen mit Interesse auch an neuerer Architektur. Auch wenn der Preis hart ist. Die Zielgruppe wird mit Sicherheit zugreifen und der Verlag kann nach einem Kassensturz eine Spende für Projekt Nr. 26 überweisen: Architekt unbekannt, Baujahr unbekannt...  


Clemens F. Kusch / Anabel Gelhaar: Venedig Architekturführer , Bauten und Projekte nach 1950; 270 S., über 400 Abb., Softcover; € 38,- CHF 49,40; Mai 2014; DOM publishers, Berlin

Dürfte in Venedig in allen 4 Sprachen erhältlich sein, in vermutlich allen Buchhandlungen/Museumsshops. 

Ergänzung 2015: ist natürlich in allen 4 Sprachen per Bestellung beim Verlag erhältlich.

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1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Den Architekturführer bekommt man auch in Deutschland in jedem Buchladen. Bei mir im Kleinstädtchen sogar in einem Tag. Habe mich auch sofort festgelesen. Ein wirklich toller Tipp.